Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde hat mit einer provokanten Forderung auf sich aufmerksam gemacht. Da die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie der Euro-Zone die Höchstgrenze für die Gesamtverschuldung ohnehin nicht einhalten, könne sie laut Lagarde auch gleich ganz abgeschafft werden. Eines der so genannten Konvergenz- oder Stabilitätskriterien besagt, dass die Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen dürfe. Auf der Konferenz von Zentralbankchefs der Banque de France forderte Lagarde nun, eben diese Höchstgrenze von 60 Prozent für die Gesamtverschuldung eines EU-Mitglieds abzuschaffen.
Lagarde dazu wörtlich: „Diese Schwellen…für die Schulden müssen wir revidieren. In der EU sollte die 60-Prozent-Grenze angepasst werden mit Blick auf die Schuldenstände, die heute tatsächlich erreicht sind.“
Faktisch liegt sie richtig: der durchschnittliche Schuldenstand in der EU liegt derzeit bei 88 Prozent, in der Euro-Zone gar bei 94 Prozent. Die hohen Schulden der europäischen Staaten machen sie zu Spielbällen der internationalen Finanzmärkte, weil die Gesamtverschuldung die Zinslast wachsen lässt. Deutliche Anstiege des Zinssatzes können stark verschuldete Staaten in den Ruin treiben.
Der Gastgeber der Konferenz, auf der Lagarde die Abschaffung der Verschuldungshöchstgrenze forderte, Christian Noyer warnte jedoch vor weiterer Verschuldung und einer Fortsetzung der EZB-Politik des billigen Geldes: „Man könnte die Inflationsrisiken unterschätzen und solche Interventionen könnten auch moralischen Schaden verursachen, indem sie den Anreiz für die Staaten verringern, ihr Haus in Ordnung zu bringen.“ Die hohe Verschuldung der europäischen Staaten mache sie verletzlich, was dazu führe, dass sie einerseits in Abhängigkeit der Finanzmärkte geraten, andererseits notwendige Reformen verhindert werden. Während Frankreich, Italien und andere kriselnde Staaten der IWF-Chefin beipflichten und ein Ende der Sparpolitik einfordern, spricht sich die deutsche Bundesregierung derzeit (noch) für eine weitere Konsolidierung in der gesamten Euro-Zone aus.
Das Dilemma jedoch, vor dem beide Seiten stehen, ist das Zwangs-Korsett der EU und der Euro-Zone. Da den europäischen Staaten eine gemeinsame Währung übergestülpt wurde, sind sie nicht mehr in der Lage, eine auf sie zugeschnittene Geld- und Finanzpolitik zu betreiben.
Nur der Ausstieg aus der Euro-Zone und die Rückkehr nationaler Währungen, nationaler Notenbanken und damit nationaler Souveränität können die Staaten in die Lage versetzen, eine an den eigenen volkswirtschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtete Währungspolitik zu betreiben.